Wenn jemand eine Reise tut…
Über eine (Business-)Reise zu erzählen, erscheint vermutlich so manchem Menschen vermessen. Vor allem bei jemand, der doch ein ordentliches, berufliches Reiseaufkommen hat und sowieso öfter mal mit einem Check-In verkündet, wo er sich befindet, das dann mit einem Post verknüpft, der mit Fotos bebildert, was es zu Essen gibt und tagged, wer dabei ist. Was aber, wenn das auf einmal nicht mehr geht?!
Wie sagte schon Matthias Claudius: “Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.” Gewählt habe ich keinen Schirm (auch wenn es sintflutartig regnete), wohl aber mein Smartphone als Begleiter – wie immer.
Es gab auf der Reise genau einen Post. Mehr nicht. Warum? Drehen wir die Uhr zurück…
Montag Abend. Barcelona. Business-Dinner. Ein paar sehr schöne Stunden mit dem Kunden und seinen Länder-Vertretern. Gute Gespräche. Nebenbei poste ich ein Bild vom leckeren Essen. Warum, weiß ich selbst nicht. Ich tu’ es einfach. Es gehört zu mir. Der Text zum Bild lautet: “Das Leben ist eine Herausforderung.” Das Essen war es. Ich war sehr satt. Wir stehen auf und zahlen.
Beim Gehen erinnert mich jemand daran, dass ich mein Handy nicht auf dem Tisch liegen lassen soll. Ich nehme es mit und zehn Minuten später bin ich es -vermutlich für immer- los. Erst dachte ich, ich hätte es im Taxi verloren. Aber es wurde mir aus der Hosentasche geklaut, offensichtlich beim Warten vor dem Taxi und in Gesprächen mit den Kollegen. Niemand hat es gemerkt. Ich auch nicht.
Heute, zwei Tage später, logged sich jemand auf meinem Smartphone ein, berichtet mir die “Mein iPhone finden”-App. Die Nachricht kommt aus Barcelona, um 07.07. Uhr, 200 Meter von der Stelle, an der wir auf das Taxi gewartet haben. Was bringt mir die “Mein iPhone suchen”-App? Das Handy kann ich abschreiben. Die App hilft nur dem, der sein Smartphone oder Tablet verliert.
Dienstag nachmittag. Flug nach München. Prominenz an Board. Star-Fussballer Neymar sitzt in der Business Lounge. Wenige bekommen es mit. Wir schon. Neymar und sein Bruder nehmen meinen Koffer aus dem Obergepäck und stellen ihn auf den Boden. Das bekommen wir nicht mit – wohl aber die Stewardess. Die fragt den Pilot, der die Passagiere in der Business-Class, aber der nicht den, der direkt hinter der Business-Class sitzt und seinen Koffer dort verstaut hat: Mich. Es war kein Platz mehr außer dort frei. Ende vom Lied: Hätte ich nicht zufällig reagiert, wäre mein Koffer ausgeladen und zerstört worden. Dank Neymar. Er war dennoch so nett und hat den Kindern ein Autogramm spendiert. Von der Koffersache wird er nie erfahren. Er hat ein Selfie gepostet. Nach Japan ist er aber an dem Abend nicht gekommen.
Partiu
#Japão
pic.twitter.com/koTed9imDn
— Neymar Jr (@neymarjr)
July 30, 2014
Dienstag Abend: Der Flug nach München wird einzigartig. Wir nähern uns München. Das Wetter wechselt von wolkig und rau, zu windig und heftig. Den Flieger schüttelt es gewaltig durch. Die Kollegin neben mir wird unruhig. Ich mache Scherze, will sie zum Lachen bringen. Sie aber wird blass. Wir sind fast auf der Landebahn. Die eine Tragfläche zeigt bedenklich in Richtung Teer, die andere zeigt das tiefe Grau über uns. Auf einmal gibt der Pilot vollen Schub und wir starten durch. Mit einer gewaltigen Windböe von links zieht der Flieger nach oben und sucht die Sicherheit der Lüfte.
Nach 15 Minuten sind wir aus dem Gewitter. Der Pilot berichtet, dass wir nach Nürnberg fliegen und dann abwarten, was der Wetterdienst sagt. Nach über zwei Stunden dürfen wir von Nürnberg nach München zurück. Dank Neymar bekomme ich mein Gepäck vom Gepäckband nach einer 45-minütigen Wartezeit.
Die Reise war eine Tortur. Zumindest für einen Digital-Native wie mich. Inzwischen bin ich seit rund 30 Stunden ohne Smartphone, ohne mobile Online-Kommunikation, ohne Fans, Follower und Freunde. Wie gerne hätte ich die faszinierende Business-Reise der zwei Tage getwittert, gepostet, oder geteilt, mit Bildern illustriert. Ein Selfie mit Neymar gemacht. Ging nicht. Familie anrufen aus dem Flieger. Nur möglich, weil die Kollegin mir das Handy kurz leiht. Keine Mails. Keine Tweets. Keine Posts. Kein Check-In. Nichts Digitales, oder technisch Kommunikatives. Man fühlt sich als halber Mensch, abhängig, immobil, handicaped.
Und das, obwohl man nur eine vermutlich einmalige Business-Reise gemacht hat, bei der man sehr spezielle Sachen erlebt und Menschen trifft, denen man vermutlich sonst nur einmal so nahe kommt. Wer eine Reise tut… sollte nicht unbedingt sein Smartphone gestohlen bekommen. Aber vielleicht ist es auch gut, weil man dann eine kleine Geschichte schreiben kann.
Bleibt die Frage, frei nach Shakespeare: “To blog or to check-in? That is the question.” Oder: Warum sollte ich die Geschichte für mich behalten? Vielleicht kann der Dieb deutsch und besinnt sich. Vielleicht liest’s Neymar und lacht, vielleicht der Pilot, dem ich dankbar bin mein Leben noch zu haben.
Egal: “Wer schreibt, bleibt!” Das Flug-Ticket werde ich in Ehren halten, die Reise nie vergessen… und die Geschichte vermutlich noch oft erzählen.