Es wurden schon viele Bücher über Google veröffentlicht, aber nur wenige, die über den strategischen Tellerrand hinaus schauen. The Strategy Web hat sich mit Veit Siegenheim, Co-Autor des Buchs „Die Google-Ökonomie: Wie der Gigant das Internet beherrschen will“ unterhalten. Er hat das Buch zusammen mit Dr. Ralf Kaumanns geschrieben.
Q: Herr Siegenheim, Sie haben in ihrem Buch die Strategien und Taktiken des Konzerns umfassend analysiert. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Veit Siegenheim Google zeigt ein sehr breites Spektrum an Strategien, Taktiken und Vorgehensweisen, um seine Ziele zu erreichen und im Wettbewerb bestehen zu können. Grundsätzlich kann man auf drei Aspekte verweisen. Erstens: Google versucht, seine Erlösquellen zu schützen und weiter auszubauen. Schaut man auf die Finanzkennzahlen so kann man feststellen, dass die Abhängigkeit von den Umsätzen, die über die eigenen Angebote generiert wurden in den letzten Jahren von 50 Prozent auf fast 67 Prozent gestiegen ist. Dies ist erstaunlich, da dadurch die Abhängigkeit von seiner wichtigsten Erlösquelle immer weiter steigt und ganz entgegen dem Bemühenist, die Erlösquellen diversifizieren zu wollen. Google erzielte im Wesentlichen auch hieraus das Wachstum der letzten Jahre. Konsequent wurde Werbung in alle möglichen kostenlosen Dienste integriert und mit neuen Werbeformen experimentiert. Zweitens: Google versucht die Regeln des Wettbewerbs im Internet nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen. Dies erfolgt über das Bemühen aus seiner Technologie oder aus seinen Konzepten de-facto-Standards machen zu wollen. Ein wesentliches Element spielt hier Open Source. Indem man viele Technologien und technische Konzepte als Open Source bereitstellt, hofft man, dass möglichst viele Entwickler auf den Zug aufspringen und sich dadurch ein de-facto-Standard bildet – der natürlich dann mit anderen Standards im Wettbewerb steht. Drittens: Google versucht gnadenlos sein Geschäftmodell der Werbefinanzierung überall dort durchzusetzen, wo sich der Konzern einen Vorteil im Wettbewerb und eine Akzeptanz der Nutzer verspricht. Dabei setzt man Werbung als Refinanzierung auch dort ein, wo dies vor ein paar Jahren noch nicht denkbar erschien.
Q: Was ist das Besondere am Vorgehen von Google im Wettbewerb im Internet?
Veit Siegenheim Google zeigt bei genauem Hinsehen auf zwei sehr unterschiedliche strategische Ansätze, sein Geschäftsmodell zu schützen und sich im Wettbewerb zu behaupten. Für alle kostenlosen Dienste und Anwendungen für die Webnutzer verfolgt Google eine klassische Produktführerschaftstrategie. Diese zeichnen sich beispielweise durch eine hohe Innovationsgeschwindigkeit aus. Immer neue Features und Funktionen werden entwickelt. Viele Produkte laufen mit kleineren und größeren Fehlern (Beta Phase) und werden mit dem Feedback der Nutzer verbessert. Flankiert wird dies durch die sehr starke Marke Google, die für Innovation und Vertrauen steht. Interessanterweise setzt Google auch nur hier auf die Karte Open Source. Im zweiten strategischen Ansatz, der Systemführerschaftsstrategie im Bereich der Werbeplattform rund um AdWords und AdSense ist von Open Source keine Spur mehr. Die Systemführerschaft, die Google bei der Werbeplattform verfolgt, ist weithin unbekannt und sehr intransparent. Dies haben wir in unserem Buch näher analysiert und beleuchtet.
Q: Ein wenig ausführlicher bitte…
Veit Siegenheim Ein strategisches „System“ ist als eine umfassende Problemlösung zu verstehen, die aus einer Reihe komplementärer Anwendungen und Möglichkeiten besteht, die sich im Sinne der Problemlösungsqualität für den Werbekunden vorteilhaft ergänzen. Ein System besteht aus Schlüsseltechnologien wie AdWords und begleitenden Leistungen wie dem Ad Manager, Analytics oder dem Ad Planner, die konstituierende Bedeutung für die gesamte Systemleistung haben. Diese Bedeutung kann beispielsweise durch ein hohes Maß an Innovation oder die integrierende Rolle innerhalb des Systems zustande kommen. Die Systemführerschaftsstrategie setzt ein Produkt mit Schlüsselproduktpotenzial voraus. Bei Google sind dies AdWords und AdSense. Durch das Schlüsselproduktpotenzial entstehen so genannte Lock-In-Effekte, das heißt, der Werbekunde ist in besonderem Maße an Google gebunden, weil bei einem Wechsel zu einem neuen Konkurrenzanbieter mehr oder minder hohe Hürden im Wege stehen und entsprechende Wechselkosten und Wechselrisiken anfielen.
Q: Inwieweit hat das Social Web die Denke von Google verändert?
Veit Siegenheim Das Selbstverständnis von Google ist geprägt und durchdrungen von der Welt der Algorithmen und dem Glauben von der universellen Messbarkeit der Dinge. Das Social Web und im besonderen Facebook verfolgt hingegen vielmehr die Vision eines persönlicheren Internets, in der unser Beziehungsgeflecht, unser Netzwerk an Freunden, Bekannten, Kollegen oder Leute mit gleichartigen Interessen unsere primären Quelle von Informationen, Kommunikation und Neuigkeiten ist – halt so wie im richtigen Leben. Dem Motto von Google die Informationen der Welt zu organisieren und verfügbar zu machen, setzt Facebook ein deutlich anderes Motto entgegen: den Menschen die Macht zu geben, sich mitzuteilen, und dadurch die Welt offener und enger verbunden zu machen. Zum Leidwesen von Google, komplett abgeschirmt für deren Suchcrawler. Der Erfolg von Seiten wie Facebook lässt an einer zentralen Stelle im Internet einen immer größer werdenden blinden Fleck für Google entstehen. Immer größere Aufmerksamkeitsströme verlagern sich in das Angebot von Facebook. Es entsteht so etwas wie ein Internet im Internet, mit sehr persönlichen Daten der Nutzer, betrieben auf den Servern von Facebook. Google hat dem nichts wirksames entgegenzusetzen. Das eigene Soziale Netzwerk Orkut ist nur in Brasilien und Indien von Bedeutung und dümpelte lange vor sich hin. Die Initiative Open Social kann als der verzweifelte Versuch gewertet werden, sich mit anderen sozialen Netzwerken gegen Facebook verbunden zu wollen und deren Wachstum zumindest zu verlangsamen.
Q: Schafft es Microsoft den von Google eingeleiteten Paradigmenwechsel aufzuhalten?
Veit Siegenheim Den eingeleiteten Paradigmenwechsel hin zu mehr webbasierten Anwendungen und weg vom PC-zentrierten Modell der Wintel-Jahre wird Microsoft wahrscheinlich nicht mehr aufhalten können. Dies kann man als eine logische Entwicklung und Konsequenz aus den steigenden Bandbreiten und immer leistungsfähigeren Netzen sowie immer besserer Technologien sehen. Informationstechnologie wird mehr und mehr zur Commodity wie Gas, Wasser und Strom. Amazon hat hier mit den Amazon Web Services eindrucksvoll gezeigt wie die Zukunft aussehen kann. Aber auch andere Unternehmen wie Salesforce.com gehen konsequent diesen interessanten Weg – zum Vorteil der Nutzer und Kunden. Hier ist Google durchaus nicht allein. Microsoft dürfte versuchen, die künftige Welt der Informationstechnologie auf seine Weise zu beeinflussen. Hier zeigen die Redmonder durchaus, dass sie in der Lage sind, die Entwicklungen aufzugreifen und mitgestalten zu wollen – Stichwort: Windows Azure oder internet-basierte Office Anwendungen. Wenn auch mit einem spürbaren Widerwillen, der aber auch verständlich ist, weil man viel zu verlieren hat. Ich gehe davon aus, dass Microsoft auch in den kommenden Jahren eine bedeutende Rolle in der Internetökonomie spielen wird.
Vielen Dank für Ihre Zeit Herr Siegenheim.
Veit Siegenheim ist Geschäftsführerender Gesellschafter der Siegenheim & Cie. GmbH und Executive Partner bei Accenture. Seine Arbeit fokussiert sich auf die Transformation von Medien- und Telekommunikationsunternehmen, die durch die zunehmende digitale Konvergenz notwendig wird. Veit Siegenheim ist Autor verschiedener Studien, Fachbeiträge und Fachbücher sowie Redner auf Fachkonferenzen und Gastreferent an Universitäten.